Gewalt durch Sprache - Prävention, Reflexion

Projekt

Worte können Waffen sein. Sie können Menschen zutiefst verletzten, sie bis zu Traumata demütigen. Aggressionen oder Angstzustände auslösen, zu Misshandlungen sich selbst gegenüber führen oder zu körperlicher Gewalt an Dritten verleiten. Um dem entgegen zu wirken, gründete eine Gruppe von drei Lehrkräften an der Anne-Frank-Oberschule Strausberg zu Beginn des Schuljahrs 2023/2024 den Arbeitskreis „Gewalt durch Sprache“. Mittlerweile sind sieben Lehrkräfte dabei.

Dass ein solcher Arbeitskreis notwendig war und ist, wurde deutlich, da den Lehrkräften auffiel, dass der allgemeine Sprachgebrauch unter den Lernenden zunehmend entgleiste. Darüber berichtet Heike Bandow (35), Gründungsmitglied und Fachleiterin für „Gesellschaftswissenschaften“, die seit 2017 an der Anne-Frank-Oberschule tätig ist: „Meinen Kolleginnen Franziska Blauels und Birte Ribbeck und mir fiel auf, dass es durch den verrohten Sprachgebrauch unter den Schülerinnen und Schülern täglich mehrfach zu bewussten und unbewussten Aussagen kam, die beleidigend, ausgrenzend, diskriminierend und/oder rassistisch und damit antidemokratisch waren. In unserem Arbeitskreis tauschen wir uns aber nicht nur über die Vorkommnisse aus, wir erarbeiten auch Konzepte für den Umgang damit, die wir dann dem Kollegium zur Verfügung stellen.“

Zu Beginn nahmen die Lehrkräfte Kontakt mit der RAA auf, die ihnen über das gesamte Schuljahr in Form von Schulberatungen und zwei SchiLf zur Seite stand. Heike Bandow: „Unterstützt wurden wir auch von dem Respekt-Coach André Windhorst, der die Finanzierung von Projekten organisierte und diese somit für die Schülerinnen und Schülern ermöglichte. Durch die gemeinsame Arbeit entwickelten wir Schritt für Schritt ein umfangreiches Konzept, wie das Thema ‚Gewalt‘ im Allgemeinen und die Formen von Gewalt im Speziellen Eingang in den Unterricht finden können. So stehen heute zum Beispiel die Sensibilisierung und Reflexion des eigenen Handelns oder die Prävention an der Anne-Frank-Oberschule im Vordergrund, wobei für Verstöße zeitgleich ein umfangreicher Maßnahmenkatalog erarbeitet wurde. Ziel ist es, dass sich alle Personen in der Schule wohlfühlen und bei Konflikten Gehör finden oder Angebote nutzen können.“

Woher die Zunahme an Gewalt durch Sprache bei Jugendlichen kommt, dafür hat die Lehrerin für Geschichte, Deutsch, Politische Bildung, LER sowie DaF/DaZ diese Erklärung: „Es fängt in den Familien an, geht über die Peer Group über das tägliche Erleben auf der Straße bis zu alltäglichen Dingen wie dem Einkaufen. Außerdem spielen rassistische, sexistische oder queerfeindliche Vorurteile mit rein und werden wiederholt – ohne darüber nachzudenken, was das für Auswirkungen haben kann. Nicht zu unterschätzen ist auch die Zunahme der Gewaltkultur in den Medien und der Gesellschaft, in der Beleidigungen und Anfeindungen nicht selten ‚zum guten Ton’ gehören. Dadurch erleben alle Schülerinnen und Schüler ein Machtgefälle, das sie internalisiert wiederholen, weil sie zu den ‚Mächtigen‘ und nicht zu den ‚Schwachen‘ gehören wollen. Zu guter Letzt verstärken, ja normalisieren die Verbreitung von Fake News sowie der oft gedankenlose Umgang mit sprachlicher Gewalt in den sozialen Medien wie TikTok den Effekt noch.“

Wie groß ist das Interesse der Jugendlichen an dem Lehrstoff zu Gewalt gegen Sprache? „Unterschiedlich. Deshalb wird an unserer Schule in allen Jahrgangsstufen großen Wert auf die Demokratiebildung gelegt“, erklärt Heike Bandow, „in den 7. und 8. Jahrgängen werden sowohl im LER- als auch Politikunterricht Kinderrechte und Gewalt umfangreich als Themen behandelt. Die 8. Jahrgangsstufe führte Projekte mit dem Anbieter ‚creative change‘ durch und erstellte Plakate für die Schule, auf denen Betroffene Hilfsangebote finden können. In der vom Arbeitskreis konzipierten Projektwoche erstellten beide Jahrgangsstufen Oneshot-Videos zum Thema Cybermobbing. Bei den Schülerinnen ist das Interesse an den Themen Cybergewalt und sexualisierte Gewalt übrigens größer als bei den Schülern. Wobei es hier weniger um Angst geht. Viele von ihnen sind einfach traurig, dass ihre Erfahrungen von anderen Lernenden nicht geteilt, sondern bagatellisiert werden.“

Welche Projekte gibt es noch? „Die 9. Jahrgangsstufe behandelte im Politikunterricht die Schwerpunkte gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sowie Grundrechte und diskutierte die Frage ‚Ist die Demokratie in Gefahr?‘“, berichtet Heike Bandow weiter, „im LER-Unterricht baten zwei 9. Klassen darum, sexualisierte Gewalt im Unterricht zu thematisieren. Zum Anne-Frank-Gedenktag am 12. Juni gedachten alle Klassenstufen den Opfern des Holocaust. Die 7. Jahrgangsstufe ging den Spuren jüdischen Lebens in Strausberg nach. Die 8. Klassen besuchten das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt. Die 9. Klassen das Denkmal für die ermordeten Juden Europas.“

Wie wird der Erfolg des Projekts bewertet? Verändert er das Denken, das Handeln der Schülerinnen und Schüler? Macht es sie mutiger gegenüber Gewalt durch Sprache vorzugehen? Macht es sie nachdenklicher? Heike Bandow: „Während der Gespräche im und außerhalb des Unterrichts haben wir Lehrkräfte das Gefühl, etwas zu bewirken und zum Reflektieren anzuregen. Manchmal sind die Schülerinnen und Schüler auch erstaunt, weil sie sich über manche Verhaltensweisen noch nie Gedanken gemacht haben. Dennoch kommt es auch bei denjenigen, von denen wir dachten, etwas bewirkt zu haben, trotzdem zu sprachlicher Gewalt. Deshalb wurde im September beschlossen, die Projektwoche zum Cybermobbing im November in allen 7. Klassen zu wiederholen. Die Demokratiebildung in den 9. Klassen wird durch die Demokratiesprechstunde mit Simona Koß (MdB) sowie einem Besuch des Landtags Brandenburg unterstützt. In der 10. Jahrgangsstufe gab es im Oktober eine Zusammenarbeit mit einem Jugendoffizier und Bildungsreferent der Bundeswehr zum Thema Sicherheitspolitik, bei der zwei Gespräche über die aktuelle Sicherheitslage in Deutschland und dem Krieg in der Ukraine stattfand. Ein besonderer Fokus lag auch auf dem Thema Rechtsextremismus.“

Aufgeben ist trotz einiger Schwierigkeiten also keine Lösung? „Nein! Unser Ziel ist es, nicht nur die Jugendlichen zum Nachdenken über das eigene Handeln, die eigenen Worte aufzufordern, sondern sie zum Aufstehen gegen sprachliche Gewalt zu motivieren.“

Jetzt sind Sie gefragt:
Haben Sie auch ein Projekt? Gibt es an Ihrer Schule etwas, dass beispielgebend für Kolleginnen und Kollegen ist? Sind sie in einer Sache an Ihrer Schule stark engagiert oder möchten Sie auf das Engagement anderer aufmerksam machen? Dann wenden Sie sich an unsere Autorin Dona Kujacinski: dona@donakujacinski.de. Die Journalistin stellt im Auftrag des MBJS „Projekte und Pioniere“ vor.


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