Gegen das Vergessen

Gegen das Vergessen_Schülerprojekt am Friedrich-Engels-Gymnasium Senftenberg©Steffen Rasche

„Wer sich seiner Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt sie zu wiederholen“. An dieses Zitat des spanischen Philosophen George Santayana erinnerte sich Anton Steiniger, Schüler des Friedrich-Engels-Gymnasiums in Senftenberg. Zusammen mit 16 Mitschülerinnen und Mitschülern aus der 11. Klasse (Schuljahr 2023/24) engagiert er sich im Seminar #gegendasvergessen, bei dem es um das in Vergessenheit geratene ehemalige KZ-Außenlager Großkoschen geht. Großkoschen (niedersorbisch Kóšyna) ist ein Ortsteil von Senftenberg (Landkreis Oberspreewald-Lausitz).

Anton Steiniger: „Für unser Schülerteam und mich ist es wichtig, das Thema den Senftenbergern nahe zu bringen. Teile der deutschen Geschichte dürfen sich nicht wiederholen. Und das ist nur mit Aufklärung zu verhindern.“

Die Idee zu dem Projekt hatte die Fachbereichsleiterin für Geschichte Anne-Christin Wegner (35): „Seitdem mir mein Mann vor einigen Jahren den Ort als Geocache präsentierte, schlummerte die Idee in mir diesen Bereich wiederzubeleben. Nicht nur, um unsere Schülerinnen und Schüler darauf aufmerksam zu machen, sondern auch die Bevölkerung.“ Im September 2023 wurde der Plan umgesetzt. Schulleiterin Petra Starke (63) berichtet: „Seitdem gab es unzählige Akteneinsichten in Archiven, Gespräche und mehrfache Reisen in verschiedene Gedenkstätten, zum Beispiel nach Auschwitz, Großrosen, Plaszow, Sachsenhausen oder in die Oskar-Schindler-Fabrik in Krakau. Ziel ist, das Außenlager Großkoschen als Gedenkstätte in das Bewusstsein unserer Region zu verankern, da diese Außenstelle bisher keine Beachtung fand, weder von politischer noch von gesellschaftlicher Seite. Ein Teil dieses Territoriums wird bis heute sogar als Wohnfläche genutzt.“

Das Schülerteam, bestehend aus Anton Steiniger, Lilli Exner, Hannah Lämmerhirt, Hans Dalichau, Tony Kalus, Moritz Lehmann, Vivian Maibauer und Jonas A. Lehmann, hat Fragen der Schul-Post beantwortet:

Wie wichtig ist das „sich Erinnern“?
Jonas:
„Das ‚Sich-Erinnern‘ sollte ein zentraler Aspekt in unserem Land sein. Mit diesem Projekt versuchen wir genau das auszudrücken. Sich an dieses, so dunkle Zeitalter der deutschen Geschichte zu erinnern, ist wichtig. Gerade in Zeiten, wo wir erneut einen deutlichen Rechtsruck in unserer Gesellschaft erleben. Nur wer seine Vergangenheit kennt, kann auch seine Zukunft positiv gestalten.“
Lilli: „Angesichts des zunehmenden Hasses und der Intoleranz in vielen Teilen der Welt müssen wir die Lehren der Vergangenheit wachhalten, um die gleichen Fehler nicht zu wiederholen. Die Erinnerung an historische Ereignisse wie die NS-Zeit und den Holocaust dient nicht nur der Ehrung der Opfer, sondern auch als Mahnung für die Gegenwart und die Zukunft. Sie hilft uns, die Werte der Menschlichkeit, Demokratie und des Respekts gegenüber anderen zu bewahren und zu verteidigen. Nur durch das Bewusstsein für unsere Vergangenheit können wir eine gerechtere und friedlichere Gesellschaft fördern und uns gegen den Einfluss des Hasses und der Ignoranz stellen.“

Wissen Sie von Gegnern des Projekts?
Anton:
„Der einzige Gegenspieler, den ich erlebte, ist ein älterer Herr, der in einem Haus auf den Ruinen des KZ Großkoschen wohnt und nicht gestört werden will. Bei unserem letzten Besuch wollte er uns etwas über Impf-Diktatur, Scheindemokratie und die herrschten Eliten erzählen.“
Tony: „Ich habe bis jetzt nur passiv die eine oder andere Reaktion mitbekommen. Man hat sich über Juden lustig gemacht oder das Thema Holocaust insgesamt in Lächerliche gezogen.“

Hat #gegendasvergessen Ihre Einstellung zur NS-Zeit verändert?
Hans:
„Besuche von ehemaligen Konzentrationslagern verändern das Denken und die Weltanschauung stark. Während und nach dem Betreten einer solchen Gedenkstätte ist man immer sehr in sich gekehrt und denkt über das Unfassbare dieser Zeit nach.“
Vivian: „Wenn man darüber nachdenkt, auf einem Platz zu stehen, auf dem so viele Menschen umgebracht wurden, bekommt man Gänsehaut.“
Moritz: „Ich habe mich schon lange vor diesem Seminar mit dem Holocaust beschäftigt und halte die Unwissenheit und die Ignoranz vieler Menschen gegenüber diesem Thema deshalb schon für beängstigend.“
Lilli: „Der Anblick der KZ-Überreste und die intensive Auseinandersetzung mit den historischen Informationen vor Ort schärfen das Bewusstsein für die Notwendigkeit, jegliche Form von Diskriminierung aktiv zu bekämpfen.“
Hannah: „Durch die Besuche von früheren Konzentrationslagern ist mir das ganze Ausmaß der Abscheulichkeiten der Nazis erst klargeworden.“
Jonas: „Man kann Parallelen zum heutigen Geschehen ziehen. Konzentrationslager sind zwar Geschichte, doch die Gefahr, dass so etwas erneut passiert, ist leider längst nicht gebannt.“
Tony: „Jeder, der diese Zeit verleugnet, sollte sich ein früheres KZ anschauen.“
Anton: „Die Schuldfrage hängt einem im Kopf und man kann nur ganz schwer fassen, was passiert sein muss.“

Für die Fachbereichsleiterin Geschichte, Anne-Christin Wegner, ist das Seminar #gegendasvergessen eine Herzensangelegenheit: „Die gemeinsame Zusammenarbeit an unserem Projekt fühlt sich für mich immer noch als das größte historische Abenteuer meines Lebens an. Ich bin unglaublich dankbar und vor allem stolz auf meine Schülerinnen und Schüler, die im Laufe des Schuljahres häufig über sich hinausgewachsen sind und verstanden haben, dass „sich erinnern“ auch „sich Seite an Seite zu erinnern“ bedeuten kann. Nach vielen anderen erfolgreichen Projektpunkten möchte ich an dieser Stelle auf unsere letzte Reise, die Krakau-Fahrt im Juli 2024 eingehen. Wir besuchten ausgewählte Orte des Gedenkens, wie das Jüdische Museum Galizien, das Oskar-Schindler-Museum, das ehemalige jüdische Ghetto, die Ghetto-Apotheke, das Gestapo Gefängnis Museum sowie die ehemaligen Konzentrationslager Plaszow und Auschwitz. Mein Dank an dieser Stelle gilt meiner Kollegen Anke Klaunig-Lehmann, ohne die sämtliche Fahrten nicht realisierbar gewesen wären, der enormen Unterstützung durch die Schulleitung, dem Förderverein der Schule und Andreas Pfeiffer, dem Bürgermeister der Stadt Senftenberg.“
Schulleiterin Petra Starke fügt hinzu: „Mit Senftenbergs Bürgermeister Pfeiffer wurde vereinbart, Finanzen sicherzustellen, um Gedenktafeln, Wegweiser und Abgrenzungen aufzustellen und Informationsflyer für alle Haushalte zu drucken. Mehr geht fast nicht.“

Jetzt sind Sie gefragt:
Haben Sie auch ein Projekt? Gibt es an Ihrer Schule etwas, dass beispielgebend für Kolleginnen und Kollegen ist? Sind sie in einer Sache an Ihrer Schule stark engagiert oder möchten Sie auf das Engagement anderer aufmerksam machen? Dann wenden Sie sich an unsere Autorin Dona Kujacinski: dona@donakujacinski.de. Die Journalistin stellt im Auftrag des MBJS „Projekte und Pioniere“ vor.


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