Snowex - Schneesportexkursionen
Snowex – ein Name, der für Pioniergeist im Schulsport steht. 1999 hatten die Pädagogen Kay Wünsche und Dr. Thomas Siede die Idee, am Fontane-Gymnasium in Rangsdorf (Teltow-Fläming) Schülerinnen und Schüler der 11. Klasse für den Wintersport zu begeistern und dafür ein attraktives, aber erschwingliches Wintersportgebiet zu finden. Umgesetzt wurde der Kurs aufgrund des starken Gegenwinds aus dem Lehrerkollegium jedoch erst ein Jahr später. „Die Widerstände fußten hauptsächlich auf Neid nach dem Motto‚ die Schneesportler machen nur Winterurlaub. Da die Kollegen kaum eine Vorstellung davon hatten, welcher Aufwand hinter so einem Kurs steckt.“ erklärt Kay Wünsche, der seit 1991 Sport und Geschichte am Fontane-Gymnasium unterrichtet und seit 2002 Schneesportlehrer ist. „Die Eltern der Jugendlichen finanzieren die freiwillige Ausbildung selbst“, fährt er fort, „die Jugendlichen haben 30 Unterrichtsstunden pro Woche und eine körperliche Belastung von vier Stunden Sport pro Tag. Während man bei anderen Schulfahrten bestenfalls aus dem Bus fallen kann, steigt beim Wintersport das Verletzungsrisiko mit zunehmender Belastung.“
Heute wird Snowex von anderen Schulen längst kopiert. Kay Wünsche findet das völlig in Ordnung: „Das zeigt uns doch, dass wir damals eine wirklich funktionierende Idee hatten.“ Stellt sich die Frage: Wie funktioniert diese perfekte Idee konkret? Kay Wünsche: „Im Winter, aber auch im Sommer zum Mountain Biking, fahren wir seit dem Jahr 2000 jährlich mit über fünfzig Schülerinnen und Schülern ins Südtiroler Ahrntal in Italien, das zu unserer zweiten Heimat geworden ist. Ziel ist die Entwicklung der Fähigkeiten für lebenslanges Sporttreiben. In den Bergen führen wir die Jugendlichen an den Wintersport und das Biken im Sommer heran, damit sie Dinge leisten lernen, die in der ‚Kaserne’, also in der Schule, nicht möglich sind. Dazu zählen Körpererfahrungen unter Belastungen im Hochgebirge, die einerseits zu Grenzerfahrungen werden, andererseits aber auch neue Motivationen für den Sport wecken können. Im Unterschied zu vielen Schulen, die inzwischen auch Wintersport anbieten und bei denen die Komponente ‚Leistung‘ im Vordergrund steht, liegt bei uns der Fokus auf einer breiten Palette verschiedener pädagogischer Perspektiven, um ‚Schnee zu zelebrieren‘. Dazu zählen Leistung, Gestaltung, Kooperation, Gesundheit, Wagnis, Körpererfahrung. Am Ende der Exkursionen ist die Entwicklung folgender Kompetenzen wichtig für den lebenslangen Erfahrungsschatz: Umgang mit körperlichen Grenzen, Angstüberwindung, Beurteilung und Umgang mit der eigenen Leistung, Trennung von Spaß und Ernst, die Rolle von Intensität beim Erlernen sportlicher Fähigkeiten.“ Klingt alles federleicht, ist aber nicht so, weil man sich im Sport immer mal wieder blaue Flecken holt. Physische aber auch psychische. Kay Wünsche: „Was immer wieder passiert ist, dass Fortgeschrittene und Könner ihre Fähigkeiten überschätzen und stürzen. Vor allem dann, wenn sie die eigene Geschwindigkeit oder das Gelände falsch einschätzen. Die Gründe werden dann in einem Face-to-Face-Gespräch erklärt und korrigiert. Eine weitere Ursache ist die Belastungsüberschätzung. Die Jugendlichen wollen am liebsten auch in der Mittagspause weiterfahren und bekommen am Ende Muskelkater oder gelangen bei der letzten Abfahrt an ihre physischen Grenzen. Anfänger haben in der Regel immer Respekt, wenn die Hangneigung von blau auf rot, also die nächste höhere Stufe wechselt. Hier ist dann eine individuelle Betreuung nötig, die fast immer greift.“
Dass Sport für das Leben eines jeden Menschen unerlässlich ist, liegt für den Sportpädagogen daran, dass Bewegung für jeden Menschen unerlässlich ist, da in einem gesunden Körper fast immer auch ein gesunder Geist wohnt. Für seine Schüler geht Kay Wünsche noch einen Schritt weiter: „Sport ist für die Jugendlichen auch wegen der Belastungsresistenz, des Risikomanagements, des Umgangs mit Schwierigkeiten und des langen Atems bis zum Ziel zu kommen, wichtig.
Bleibt der Teamgeist, der seit 2010 durch das Konzept SOL getriggert wird: selbstorganisiertes Lernen – jahrgangsübergreifend, projektorientiert und multimedial. Konkret heißt das: Geeignete Schülerinnen und Schüler werden durch die Schneesportlehrer inhaltlich und methodisch vorbereitet und führen als Schülerlehrkräfte die Ausbildung in verschiedenen Könnensstufen auf dem Hang und in der Theorie durch. Kay Wünsche: „Dabei ist natürlich das geringere Betreuungsverhältnis für die Lernenden dem klassischen Lernmodell weit überlegen. Während sonst Schneesportlehrkräfte mit Schülerzahlen bis zu sieben (oder in anderen Schulen auch deutlich mehr) zu tun haben, gelingt es hier, einen Schlüssel von 2:1 oder manchmal auch 1:1 zu organisieren. Dadurch erhalten die Lernenden permanente Rückmeldung und Korrektur und sind demnach schneller ‚fit’ als andere. Der zeitliche Aufwand ist nur in der Vorbereitung etwas höher, kann aber auf dem Hang kompensiert werden. Im 11. Schuljahr geht die Abschlussbewertung im Schneesport in die Semesternote ein.“
Natürlich werden außer den Jugendlichen aus der Sekundarstufe II auch die jüngeren Schülerinnen und Schüler an Snowex herangeführt. Und zwar durch das pädagogische Konzept ProWo, das auf der Idee „Schüler unterrichten Schüler“ basiert. In sehr kleinen Gruppen bis maximal drei Lernende werden die jüngeren Schüler von bereits erfahrenen Schülern unterrichtet, nachdem sie durch Schneesportlehrer dazu befähigt wurden. Unter Aufsicht der Schneesportlehrer führen die Gruppen Übungen durch, die das Verbessern bzw. Erlernen der Techniken beinhaltet. Durch die relativ individuelle Betreuung werden regelmäßig sehr gute Lernfortschritte erzielt. Kay Wünsche: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass einige Schülerinnen und Schüler lieber von ihren Alterskameraden lernen als von uns und danach gerne mit ihnen ihre Erfolge feiern. Das freut uns natürlich genauso wie die Tatsache, dass viele Jugendliche ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht haben. Wir haben einige Schülerinnen und Schüler, die Ski- oder Snowboardlehrer geworden sind. Clemens Fabian zum Beispiel, Alina Tsiobanidis, Franz Schmidt oder Julien Grau.“ Bleibt die Frage: Wie stehen die Eltern zu Snowex? Kay Wünsche: „Total begeistert! Wir haben doppelt so viele Anmeldungen wie freie Plätze.“
Jetzt sind Sie gefragt:
Haben Sie auch ein Projekt? Gibt es an Ihrer Schule etwas, dass beispielgebend für Kolleginnen und Kollegen ist? Sind sie in einer Sache an Ihrer Schule stark engagiert oder möchten Sie auf das Engagement anderer aufmerksam machen? Dann wenden Sie sich an unsere Autorin Dona Kujacinski: dona@donakujacinski.de. Die Journalistin stellt im Auftrag des MBJS „Projekte und Pioniere“ vor.